Alte Gemäuer hüten bekanntlich ja manches dunkle Geheimnis. Das gilt auch oder gerade für Klostermauern. Um einen Turm im ehemaligen Zisterzienserkloster Maulbronn rankt sich eine besonders schaurige Geschichte, deren Ursprung wohl im späten 15. Jahrhundert liegt.
Man schrieb das Jahr anno domini 1493, als der ehrwürdige Abt Johannes Burrus von Bretten den Bau eines Wendeltreppenturms in Auftrag gab. Er sollte im neu errichteten Parlatorium zwischen Kreuzgang und Siechenhaus nach oben zum Oratorium beziehungsweise der Klosterbibliothek führen. Der Ausführende war ein Laienbruder namens Conrad von Schmie, einem zum Kloster gehörigen „Steinhauerdorf“ ganz in der Nähe.
Damals war es durchaus üblich, beim Haus- oder Scheunenbau ein sogenanntes Bauopfer zu bringen. Es sollte die Bewohner vor Hexen und Dämonen schützen. Bevorzugt wurden dafür Katzen, auch Hundewelpen, sowie Füße von Lämmern und Ziegenböcken, die ins neue Bauwerk eingemauert wurden.
Was allerdings der Steinhauer Karl Walter im Jahre 1862 entdeckte, war ein besonders grausiger Fund: Im Zuge der Erneuerung besagten Wendeltreppenturms fand er „unter einer Steinplatte das Skelett einer hockenden jungen Frau“; so nachzulesen auf Seite 38 in dem Buch „Alltagsmagie“, herausgegeben vom Maulbronner Stadtarchivar Martin Ehlers. Der zuständige Oberamtsarzt habe damals festgestellt, dass es sich bei der Bedauernswerten „wohl um eine 18 Jahre alte Frau“ handelte. Sie könnte bei lebendigem Leibe eingemauert worden sein, um böse Mächte von dem Klosterbauwerk fernzuhalten.
Bis mindestens in 19. Jahrhundert hinein, waren Aberglaube und Alltagsmagie im Volk – und hinter den Klostermauern - ausgesprochen lebendig. Speziell in Maulbronn listete der Kloster-Sattlermeister Johann Georg Pfinzer, gestorben 1803, magische Formeln und Zaubersprüche auf. Noch im Jahr 1820 diente den Christenmönchen beim Bau eines Wirtschaftsgebäudes anstelle einer ehemaligen Dreifaltigkeitskapelle eine Katze als Bauopfer zur Abwehr von Hexen und Dämonen.
Man kann sich nun fragen, ob die Kirchenmänner vielleicht der Meinung waren, dass doppelt genäht einfach besser hält. Und sie deshalb Gottes Segen für ein Bauwerk mit einem Bauopfer untermauerten.
Und noch eine Frage zu der Ansicht, dass es sich bei dem toten Mädchen am Wendeltreppenturm auch um ein Verbrechen gehandelt haben könnte: Wäre die Vorstellung etwa schöner, dass die Glaubensbrüder ein Mädchen, das warum auch immer verbotenerweise in dem Männerkloster war, auf diese Weise „verschwinden“ ließen?
Buchtipp:
Martin Ehlers (Hrsg.) Alltagsmagie – Riten, Schutzzauber und Bauopfer. Katalog. Maulbronn, 2020. ISBN 978-3-926414-36-6.